Koloniale Welten: Von Parati bis Blumenau
94. - 97. Reisetag (17.10. - 20.10.2015)
Obwohl es gar nicht so weit bis nach Parati ist, kommen wir nur langsam voran. Ca. 80 km nördlich des Ortes finden wir ein sympathisch aussehenden Posto. Die ganze Anlage ist ansprechend gestaltet und es sind keine LKW in Sicht. Wir können dort stehen und werden abends von 3 Deutschen angesprochen, die gerade Wartungsarbeiten am nahe gelegenen Atomkraftwerk vornehmen. Sie sind einmal im Jahr zur Inspektion des Werkes, das sowohl einen amerikanischen als auch einen deutschen Reaktor hat, hier. Beruhigend, dass die Sicherheit eines solchen Werkes auch hier offenbar groß geschrieben wird.
Nach einer ruhigen Nacht fahren wir früh weiter nach Parati. Einer der Campingplätze dort ist zurzeit nicht in Betrieb, so dass wir den Cmpingplatz Campo do Brasil aufsuchen. Er liegt gegenüber vom Strand und nur wenige Fußminuten von der Altstadt entfernt. Der Platz selbst wird vorrangig von Dauercampern genutzt. Sie haben dort riesige Wohnwagen mit großen Vorzelten stehen, die allesamt mit schmutzigen Plastikplanen abgedeckt sind. Es gibt hier wohl heftigen Regen, der dies nötig macht. Romantisch ist das aber nicht gerade. Wir finden einen Platz in der Ecke, den wir notgedrungen nehmen. Da wir Mitglied im ADAC sind, reduziert sich der Preis immerhin um ein Drittel. Das nehmen wir dankbar an, da es uns hier eigentlich nicht gefällt.
Wir sind mit Sandra und Markus verabredet, die wir zu Beginn unserer Fahrt im Hotel Porto Joffre im Nordpantanal kennen gelernt haben. Sie machen hier gerade eine Woche Urlaub. Sie kommen zu uns und wir gehen gemeinsam in die Altstadt, die wirklich schön ist. Parati diente zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Hafen für die Goldtransporte von Minas Gerais.Es gibt nördlich ein Fort gegen Piratenangriffe, was wir uns allerdings nicht angesehen haben. Dieser Boom dauerte nur kurz, da dann bequemere und schnellere Vebindungen gebaut wurden. Als in den 1960er Jahren eine Straße von Rio nach Sao Paulo über Parati gebaut wurde, entdeckten die Touristen den netten kleinen Ort mit den hübschen Stränden und brachten den Wohlstand.
Die Häuser in der Altstadt sind alle weiß gestrichen, es ist sehr sauber und es gibt viele nette kleine Läden. Wir streifen ein wenig herum, Markus und Uwe fotografieren, Sandra und ich quatschen. Das tut richtig mal wieder gut. In einem gemütlichen Café trinken wir einen leckeren Eiskaffee und die Münder stehen nicht still. Anschließend schlendern wir weiter durch den Ort, um gegen Mittag am Strand in einem der vielen Strandrestaurants zu landen. Dort stopfen wir uns mit Pommes voll. Den Nachmittag verbringen wir an einem nahe gelegenen Wasserfall. Sandra und Markus lernen von Uwe wie man „Wischer“ macht und trotz des Nieselregens vergeht die Zeit schnell. Die Pousada, in der die beiden wohnen, besichtigen wir auf dem Rückweg. Sie ist mit Kunstwerken bestückt, die Zimmer sind gepflegt und stilvoll eingerichtet. Uns schmeckt der Kaffee auf der Terrasse mit Blick auf den Fluss, während Sandra duscht. Eine sehr empfehlenswerte Bleibe, die auch sehr leckeres Essen anbietet, das ein französischer Koch anrichtet.
Im Ort ist jetzt viel los. Überall wird gegessen, geguckt und gekauft. Bei der abendlichen Beleuchtung sieht alles noch viel romantischer aus. Es ist so voll, dass Sandra und ich die beiden Männer aus den Augen verlieren. Glücklicherweise merken die Zwei das und kommen zurück.
Im Casa do Fogo essen wir zu Abend. Auch in diesem Restaurant hängen Kunstwerke an der Wand und es ist geschmackvoll eingerichtet. Das Essen wird mit Cachaca flambiert. Der Koch ruft dazu alle Gäste an die Theke, damit sie Fotos machen können. Ein witziger Brauch, der uns gut gefällt. Alles mundet uns sehr gut, so dass wir uns sogar noch einen flambierten Nachtisch mit Banane gönnen. Ein schöner Tag in Brasilien mit netten Leuten an der Seite ist doch auch mal eine Abwechslung.
Am nächsten Morgen geht es weiter in Richtung Blumenau. Wir entscheiden uns für die direkte Verbindung vom Ort aus zur BR 101. Die Straße ist schmal und es geht bergauf. Die Vegetation wird immer ursprünglicher. Häufig kommen uns auch Autos entgegen. Wir zweifeln schon ein wenig daran, ob die Entscheidung, diese Route zu nehmen, richtig ist. Aber jetzt ist es zu spät! Wir genießen stattdessen den Weg durch das dicht bewachsene Gebiet und kriechen langsam durch viele Kurven nach oben. Die Straße ist zeitweise sehr eng, wird aber weiter oben gerade ausgebaut. Wir schaffen hier keine Kilometer, sind aber trotzdem sehr zufrieden mit diesem Weg. Von den Schnellstraßen aus sieht man einfach viel weniger Landschaft.
Da Jona auf seiner Hochseetour an diesem Tag in Ostende anlegt, möchte Uwe ihn natürlich gern sprechen. Im ersten größeren Ort an der Tankstelle haben wir gleich Glück und Uwe erreicht seinen Filius tatsächlich und ist sehr erleichtert, dass es ihm auf dem Schiff so gut geht.
Obwohl es jetzt sehr viel besser voran geht, schleichen die Kilometer dahin. Wir fahren Autobahn. In recht kurzen Abständen müssen wir Autobahngebühren bezahlen. Sie schwanken zwischen 2 und 15 R$ also 50 Cent und 4€. Draußen wird es kalt. Gewöhnt an mindestens 30 Grad beobachten wir, wie das Thermometer auf 20 Grad fällt. Das kann ja heiter werden. Auch an diesem Abend übernachten wir auf einem Posto. Da es schon fast dunkel ist, stört es uns nicht so sehr, dass er ziemlich hässlich ist. Überraschenderweise wird es eine ruhige Nacht und dank der Kühle schlafen wir richtig gut.
Der Süden Brasiliens ist durch viele europäische Einwanderer geprägt. Sie kamen aus unterschiedlichen Ländern während der Kolonialzeiten und auch noch später gab es viele Einwanderer. Auch die Deutschen sind zahlreich vertreten. Häufig waren bzw. sind sie wirtschaftlich sehr erfolgreich und zogen so andere nach, die sich auch Erfolg versprachen. Wie viele Volksgruppen leben sie gern beieinander und prägen bestimmte Städte, Dörfer oder auch nur kleine Kolonien bis heute. In manchen Orten wird tatsächlich noch viel Deutsch gesprochen, obwohl die Kinder und Kindeskinder die Sprache immer mehr durch Portugiesisch ersetzen und häufig nur noch einzelne Wörter oder Redensarten kennen. Oft werden auch bestimmte Gebräuche gepflegt, wie wir es in Blumenau erleben dürfen.
Ohne Frühstück geht es am nächsten Morgen weiter in Richtung Pomerode, einem Dorf, in dem es noch viele Deutsch - Brasilianer gibt, die ihre Traditionen hoch halten. Uwe erinnert sich noch, wie beeindruckt er auf seiner Reise vor 22 Jahren von diesem Ort war. Vor allem das Tortenparadies hatte es ihm angetan. Gegen halb zwölf haben wir es dann endlich gefunden. Dabei hilft uns eine Gruppe von Deutschen, die in der Ortsmitte für die Zeugen Jehovas steht. Sie ist für 2 Wochen in Pomerode und war bereits 2 Wochen in Argentinien unterwegs. Glücklicherweise unterlassen sie es, uns bekehren zu wollen. Uwe ist enttäuscht von seiner Erinnerung, denn er hat ganz andere Vorstellungen vom Tortenparadies. Es klärt sich jedoch auf: Vor 8 Jahren wurde das alte Gebäude verlassen und schräg gegenüber neu aufgemacht. Es ist jetzt viel größer und nicht mehr ganz so romantisch wie früher. Neben Kuchen und Torten gibt es auch ein Mittagsbuffet, was von vielen in Anspruch genommen wird. Etwas ausgehungert suchen wir uns ein Stück Torte aus und bestellen dazu einen Cappuccino. Leider vergessen wir darauf hinzuweisen, dass wir ihn ohne Zucker möchten. Wir denken halt, dass wir uns hier in deutscher Tradition befinden. Doch die Anpassung an Brasilien ist in fast 200 Jahren doch schon weit fortgeschritten und der Kaffee ist gesüßt, wie in den meisten Restaurants im Land. Uwe schlägt sich den Bauch mit Kuchen voll, ich habe nach einem Stück und dem Kaffee genug Süßes. Wir schlendern noch ein wenig durch den Ort, der nur wenig typisch Deutsches aufweist, lediglich im Ortskern befindet sich ein deutsch aussehendes Restaurant, das Restaurant Schroeder. Wir treffen noch zweimal verschieden Zeugen Jehovas, die sich auf den Bänken an der zentralen Kreuzung aufhalten. Wir empfinden das als unangenehm, wie sie dort die Straße einnehmen. Zu uns sind alle ausgesprochen freundlich, aber wir fühlen uns dabei einfach nicht wohl.
Nach ca. 1 1/2 Stunden verlassen wir Pomerode und machen uns auf den Weg nach Blumenau. Diese Großstadt ist sehr brasilianisch, wobei aber viele Flaggen auf das gerade stattfindende Oktoberfest hinweisen. Wir finden recht schnell den Camping Florestal. Er liegt nur ein paar hundert Meter vom Gelände des Oktoberfestes entfernt und auch die Innenstadt kann man gut zu Fuß erreichen. Außerdem ist es dort sehr ruhig. Das Gelände befindet sich hinter der Firma Lartok, die von Johannes einem Deutsch sprechenden Herrn geführt wird. Er ist sehr freundlich und hilfsbereit. Sein Internet dürfen wir nutzen und er erteilt gern Auskunft.
Als erstes gehen wir auf die Suche nach einem Supermarkt. Auf dem Weg dorthin finden wir einen Markt, auf dem wir Gewürzgurken, kleine getrocknete Mettwürste, deutsches Brot und Käse kaufen. Das Deutsch der Bedienung ist nur noch bruchstückhaft. Aber es wird darüber gelacht. Wir freuen uns auf ein deftiges Mittagessen. Der Weg ins Zentrum ist sehr städtisch und erst mittendrin erkennen wir etliche Häuser mit Fachwerk und viele Geschäfte, die Dirndl und auch passende Hosen für die Männer, Hüte und Metallhumpen anbieten. Dabei handelt es sich nicht um qualitativ hochwertige Sachen, sondern eher um Verkleidungen wie bei Fasching. Alle Schaufenster sind mit Verzierungen in schwarz-rot-gold ausgestattet. Auf 2 Plätzen spielen Blaskapellen deutsche Traditionsmusik à la Marmor, Stein und Eisen bricht!
Ein Lichtblick ist für mich das Café „Daily Coffee“. Es ist sehr schön gestaltet und könnte so wirklich in Nordeuropa stehen. Auch der Latte ist lecker und ich genieße die moderne Art des Cafés, was sich auch in dem schnellen Internet widerspiegelt.
Auf dem Rückweg landen wir auf dem Oktoberfest. Es wurde 1983 nach einer heftigen Überflutung in Blumenau eingeführt, da die Gemeinde unbedingt Geld brauchte. Inzwischen gilt dieses Event als das zweitgrößte Oktoberfest der Welt. Montags kostet es keinen Eintritt und wir rechnen mit geringen Besucherzahlen. Aber weit gefehlt! Es ist gut besucht, wenn auch nicht übermäßig voll. Es gibt 4 ineinander übergehende Hallen, jeweils mit einer Bühne. Auf jeder Bühne spielt eine lautstarke Band mit Sänger oder Sängerin, Tänzerinnen und vielen Instrumenten. Es wird Stimmung gemacht und die Besucher gehen darauf ein. Von der Einjährigen im Dirndl bis zum 75-jährigen in der gefaketen Lederhose tanzen fast alle und strahlen übers ganze Gesicht. Die Stimmung ist umwerfend. Wir werden von mehreren Seiten als Deutsche erkannt und einige erzählen in pommerischem Altdeutsch ihre Herkunftsgeschichte.
Besonders nett ist das Gespräch mit Denise und Idécio beim Essen einer Bratwurst. Denise ist in vierter Generation deutschstämmig. Ihre Muttersprache ist Deutsch und sie spricht fließend und gut verständlich. Ihr Akzent ist aus unserer Sicht allerdings besonders. Sie erzählt, dass ihre Eltern außerhalb Blumenaus in einer deutschen Kolonie wohnen und noch einige Tiere halten und ihr Gemüse selbst anbauen. Ihr Vater arbeitet außerhalb, weil sonst das Geld nicht reichen würde. In der Woche wohnt sie meistens bei ihrem Freund in Blumenau, am Wochenende sind sie gern bei den Eltern, weil es dort ursprünglicher und ruhiger ist. Denise zeigt uns die Offenheit einer Brasilianerin und meint, dass ihre Eltern noch die deutsche Zurückhaltung und Distanz haben, die sich jedoch in ihrer Generation verlieren.
Uwe erlebt noch eine besondere kleine Überraschung. Er entdeckt, dass eine Feuerwehrkapelle aus Lich dort aufspielt. Auf Nachfrage findet er heraus, dass es sich tatsächlich um das Lich bei Gießen handelt, in dem er seine ersten drei Lebensjahre verbracht hat.
Uwe fotografiert und fotografiert und kann gar nicht mehr aufhören. Ich bin an diesem Tag nicht unbedingt in Feierstimmung, so dass ich froh bin, als er sich loseißen kann und wir zum Auto zurück gehen.
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